Nachgefragt bei InCamS@BI: Wieso sollte man ein Barcamp besuchen? Interview mit Technolgiescout Melina Gurcke
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Melina Gurcke ist Technologiescout im InCamS@BI-Creative Lab. Im fünften Nachgefragt-Interview des Transferprojekts Innovation Campus for Sustainable Solutions erklärt die Elektrotechnikerin, was das Transferformat Barcamp so spannend macht, welche Aufgaben mit ihrem Job einhergehen und was Nachhaltigkeit für sie bedeutet.
In der Interviewreihe „Nachgefragt bei InCamS@BI“ erklären Kolleginnen und Kollegen aus dem Team, wie das Transferprojekt InCamS@BI funktioniert. Was haben Unternehmen und Studierende von einem Makeathon? Wie baut man eine Qualifizierungsreihe auf? Wie organisiert man ein so großes Projekt? Fragen wie diese und viele mehr wollen wir hier im Gespräch beleuchten. Dieses Mal steht die Wissenschaftlerin Melina Gurcke Rede und Antwort.
Du hast in deiner Funktion die Barcamp-Reihe des Projekts konzipiert. Es gibt verschiedene Formen von Konferenzen – was macht ein Barcamp als „Mitmachkonferenz“ deiner Ansicht nach so besonders?
Melina Gurcke: Die lockere und offene Atmosphäre. Ein Barcamp läuft nicht nach dem klassischen Schema „erst Vortrag, dann Fragerunde“ ab, denn der Fokus ist bei einer Mitmachkonferenz genau andersherum: Es gibt keine langen Vorträge, im Fokus steht die Diskussion auf Augenhöhe. Es wird über die Themen diskutiert, die den Teilnehmer:innen wichtig sind, so gestalten sie die inhaltliche Agenda selbst. Bei den beiden Barcamps, die wir schon veranstaltet haben, klappte das auch erstaunlich gut! 2023 haben wir unser erstes Barcamp zum Thema „Circular Design“ veranstaltet. 2024 lautete unser Kernthema „Circular Economy in der Energieversorgung“. Bei beiden Terminen waren jeweils rund 45 Teilnehmer:innen vor Ort: Studierende, Vertreter:innen aus Industrie, kleinen und mittelständischen Unternehmen und verschiedenen Netzwerken sowie Wissenschaftler:innen waren jeweils dabei. In diesem Jahr waren analog zum Thema natürlich auch Netzbetreiber und Unternehmen aus der Energiebranche dabei.
Was haben Unternehmensvertreter:innen davon, zu einem Barcamp zu gehen?
Melina Gurcke: Ein Barcamp ist einfach eine tolle Bühne für den Austausch. Die Teilnehmer:innen können all ihre Themen platzieren, ihre Fragen stellen und darüber in den Austausch kommen, was sie gerade bewegt. Wenn man den Menschen Raum zum Reden lässt – und das ist beim Barcamp zentral – dann kommunizieren sie auch sehr offen. So entstehen sehr spannende Gespräche und tolle Ansätze: Man stößt auf neue Potenziale, findet Symbiosen, stellt fest, welchen Bedarf auch andere haben und kann sich weiter mit den Themen beschäftigen. Auch mit Studierenden können die Unternehmen in Kontakt kommen – das kann zum einen für völlig neue, unverbrauchte Perspektiven sorgen aber auch in einer Studi-Arbeit oder einer Bachelor- oder Masterthesis münden.
Das Creative Lab von InCamS@BI organisiert noch weitere Veranstaltungen, um mit Unternehmen und der Öffentlichkeit in einen Dialog zu gehen. Welches der verschiedenen Veranstaltungsformate war für dich bisher das spannendste?
Melina Gurcke: Mir persönlich hat der Workshop „Nachhaltig handeln, Zukunft gestalten“ für Schülerinnen und Schüler beim Tag der Bildung im Rahmen der Klimawoche Bielefeld an der HSBI am meisten Freude bereitet. Ich konnte den Workshop gemeinsam mit meinen Technologiescout-Kolleg:innen Heike Wulf und Matthias Pieper organisieren. Es hat viel Spaß gemacht mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Auch hier haben wir – ähnlich wie beim Barcamp – den Fokus nicht auf Vorträge, sondern auf den Austausch gelegt. So haben wir erfahren, was die Schüler:innen bewegt, was sie schon wussten und welche Fragen bei ihnen offen sind. Und ich konnte ihnen ganz nebenbei die Themen näherbringen, die mich tagtäglich beschäftigen. In dem Workshop gab es drei Stationen: Was sind eigentlich Biokunststoffe? Was hat es mit zirkulärer Wertschöpfung auf sich? Und wie kann ein nachhaltiges Energiesystem aussehen? Letztere habe ich mit betreut, wir haben ein Energiemodell aufgebaut, mit Windrad, kleiner PV-Anlage, Elektrolyseur und Brennstoffzelle und haben eine Glühbirne und einen Propeller angeschlossen. So konnten die Schüler:innen direkt sehen, wie alles zusammenhängt, das hat ihnen sichtlich Spaß gemacht. Und mir ebenso.
Du bist mit einer halben Stelle als Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI beschäftigt und mit einer weiteren halben Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG Netze und Energiesysteme im Institut für technische Energie-Systeme (ITES) an der HSBI. Wie vereinst du die beiden Tätigkeiten inhaltlich miteinander?
Integration erneuerbarer Energien
Immer mehr Energie in Deutschland stammt aus erneuerbaren Quellen. Doch Sonnenlicht, Wind und Wasser sind volatil, das heißt sie stehen nicht konstant zur Verfügung. Damit eine hohe Zuverlässigkeit und Versorgungssicherheit auch weiterhin gewährleistet werden können, untersuchen Forscher:innen an der HSBI die Integration neuer Stromerzeuger und –verbraucher. Mehr lesen
Melina Gurcke: Regenerative Energien sind eines der drei Prinzipien, auf denen die Circular Economy fußt. Elektrische Energie ist auch in einer Circular Economy nicht wegzudenken, sie wird weiterhin im täglichen Leben sowie in der Herstellung von Produkten benötigt. Diese Energie soll aus erneuerbaren Quellen kommen, die jedoch stark schwanken und deren Integration in das Energiesystem sehr komplex ist. Dafür müssen wir nicht nur den Verbrauch anpassen und die erzeugte Energie optimal ausnutzen, sondern auch intelligent steuern. Zusätzlich merken wir, dass durch die Energiewende immer mehr Ressourcen gebraucht werden, also sowohl Energie selbst als auch alles, was Energie erzeugt und transportiert. Hier muss die Kreislaufwirtschaft mitgedacht werden: Wir brauchen Betriebsmittel, die keinen oder einen positiven Impact auf die Umwelt haben. Die beiden Themenbereiche gehen miteinander einher.
Wieso braucht unsere Gesellschaft für das Energiesystem der Zukunft eine Circular Economy?
Melina Gurcke: Um es ganz deutlich zu sagen: Wenn wir in Zukunft ein Energiesystem haben wollen, dann müssen wir umdenken. Unsere Gesellschaft muss viel mehr in Kreisläufen denken, damit wir überhaupt klimaneutral werden können. Grundsätzlich sind erneuerbare Energien natürlich super, aber auch hier ist nicht alles Gold was glänzt: In Photovoltaikanlagen zum Beispiel sind viele Verbundstoffe integriert, die Bauteile sind mitunter verklebt – und damit je nachdem was kaputt geht auch schwieriger zu reparieren und am Ende ihres Lebens nicht wieder zu recyceln. Solche Anlagen müssen wir hinsichtlich einer zirkulären Wertschöpfung genauso betrachten wie alle anderen Produkte. Oder Schwefel-Hexafluorid (SF6): Das ist ein Schutzgas, das wir als Isolator im Energiesystem nutzen, es ist farb- und geruchslos. Gerät es jedoch in die Umwelt, ist das eine Katastrophe, da es absolut klimaschädlich ist. Für sowas brauchen wir neue und nachhaltige Lösungen.
Gibt es ein konkretes Ziel, das du mit deiner Arbeit sowohl in der Arbeitsgruppe als auch im InCamS@BI-Projekt erreichen möchtest?
Melina Gurcke: Die Welt und die Gesellschaft wie wir sie kennen funktioniert ohne elektrische Energie nicht. Und deshalb möchte ich mit meiner Arbeit einen Beitrag leisten. Ich möchte sicherstellen, dass unsere Gesellschaft ihren Lebensstandard beibehalten kann – das bedeutet für mich weiterhin eine hohe Zuverlässigkeit und Versorgungssicherheit in Bezug auf unsere Energie. Aber eben nicht aus irgendwelchen Quellen, sondern regenerativen Energien. Das ist ein sehr komplexes Thema. Umso wichtiger ist in dem Kontext eine unserer Aufgaben des Transfers: Nicht-Expert:innen den Sachverhalt verständlich näher zu bringen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?
Melina Gurcke: Nachhaltigkeit wird über zwei Ebenen definiert: Zum einen das Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann. Zum anderen bedeutet Nachhaltigkeit ja aber auch „auf die Dauer“, wir wollen also nicht nur jetzt ökologisch handeln, sondern eine für eine längere Zeit anhaltende positive Wirkung schaffen. Seit ich mich mit der Theorie der Circular Economy im Rahmen von InCamS@BI beschäftige, blicke ich auch anders auf vermeintlich nachhaltige Ideen bei Do-it-Yourself-Upcycling-Workshops. Früher dachte ich: Super, wenn Leute eine Metalldose nicht wegschmeißen, sondern bemalen und als Stiftehalter oder Deko-Objekt behalten. Heute frage ich mich: Brauchst du den Stiftehalter? Schmeißt du dafür einen anderen weg? Staubt die Deko vielleicht nur zu? Oder wäre es nicht sinnvoller, die Dose einfach zu recyceln und das Material wieder dem Kreislauf zuzuführen? Beim „Upcycling“ geht es meiner Ansicht nach eigentlich darum, Produkte aufzuwerten und sinnstiftend neu einzusetzen.
Vielen Dank für das Interview! (gs)
Zur Person: Melina Gurcke
Melina Gurcke hat den Bachelor Regenerative Energien und den anschließenden Master Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Intelligente Energiesysteme an der Hochschule Bielefeld studiert. Seit 2023 arbeitet sie sowohl in der Arbeitsgruppe Netze und Energiesysteme als auch im Projekt InCamS@BI an der HSBI. Die 27-Jährige Bielefelderin ist außerdem ehrenamtlich im Vorstand des IEEE Student Branch Bielefeld tätig. IEEE steht für Institute of Electrical and Electronics Engineers, dem weltweit agierenden Berufsverband für Ingenieur:innen aus dem Bereich Elektrotechnik und Informationstechnik. Der Student Branch, in dem Gurcke aktiv ist, ist die studentische Vereinigung des IEEE. Für Studierende der Ingenieurwissenschaften werden Get-Togethers zu Beginn und Abschluss jedes Semesters organisiert, Aktionen wie Weihnachtsbaumlöten veranstaltet, Exkursionen zu Firmen durchgeführt und vieles mehr.