01.08.2024

Nachgefragt bei InCamS@BI: Was ist der Unternehmens-TechCheck? Interview mit Technologiescout Katharina Schnatmann

Photovoltaik-Modul im Labor
Ihr Thema: zirkuläres Design von Photovoltaikmodulen. Der Hintergrund: PV klingt zwar nachhaltig, ist es jedoch nicht immer. Viele PV-Anlagen werden viel zu früh geschreddert. © P. Pollmeier/HSBI
Katharina Schnatmann
Katharina Schnatmann arbeitet seit Anfang 2023 als Technologiescout im Projekt InCamS@BI. © P. Pollmeier/HSBI
Katharina Schnatmann im Labor
Im Labor beschäftigt sich die 24-Jährige unter anderem mit dem Reverse Engineering von Geräten. © P. Pollmeier/HSBI
Forschende stehen vor Whiteboard und diskutieren über zirkuläre Wertschöpfung
Katharina Schnatmann (links) diskutiert mit ihrer Kollegin Melina Gurcke über Wertschöpfungsprozesse. © P. Pollmeier/HSBI

Im vierten Interview der Reihe Nachgefragt bei InCamS@BI erklärt Katharina Schnatmann, was sie als Technologiescout im Innovation Lab von InCamS@BI macht. Sie gehört zur Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung. Das Team hat einen Technology Check (kurz TechCheck) für Unternehmen entwickelt, um die individuellen Potenziale im Bereich Circular Economy herauszuarbeiten. Wie sie das gemacht haben und wie der TechCheck genau funktioniert, berichtet die Elektrotechnikerin.

In der Interviewreihe „Nachgefragt bei InCamS@BI“ erklären Kolleginnen und Kollegen aus dem Team, wie das Transferprojekt InCamS@BI funktioniert. Wofür ist ein Barcamp gut? Wie baut man eine Qualifizierungsreihe auf? Wie organisiert man ein so großes Projekt? Fragen wie diese und viele mehr wollen wir hier im Gespräch beleuchten.

Im Projekt InCamS@BI habt ihr den Technology Check (kurz TechCheck) entwickelt. Was können Unternehmen damit prüfen?

Katharina Schnatmann: Der TechCheck ist darauf ausgelegt, die Wertschöpfungskette eines Produktes zu analysieren und so Anknüpfungspunkte für zirkuläre und nachhaltige Strukturen zu identifizieren. Das heißt, der TechCheck wird nicht für ein gesamtes Unternehmen, sondern nur für ein bestimmtes Produkt durchgeführt. Wir schauen hier auf die Wertschöpfung. Die entsteht immer dann, wenn Rohstoffe zu einem Produkt zusammengefügt werden, das mehr Wert ist als die Ausgangsmaterialien. Wertverlust entsteht, wenn Produkte über die Nutzung altern oder die zusammengemixten Materialien am Ende der Nutzung eines Produkts nicht getrennt oder weitergenutzt werden können. Wertschöpfung und -verlust sind der Dreh- und Angelpunkt des TechChecks.

Wie könnte das in der Praxis aussehen?

Katharina Schnatmann: Ein fiktives Beispiel: Ein Unternehmen stellt Bürostühle her und verbaut darin Kunststoffkomponenten. Wir prüfen dann Produktion, Nutzung und Produktlebensende und schauen, wo wir relevante Aspekte für die Nachhaltigkeit finden. Büromöbel sind langlebige Produkte, die während ihrer Nutzungszeit nur sehr geringe negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Der Wertverlust in Bezug auf die Ressourcen tritt also zum Großteil erst am Lebensende des Produkts ein, wenn der Bürostuhl ausgedient hat. Denn dann werden die Kunststoffkomponenten nur noch thermisch verwertet, weil es sich in unserem Beispiel um Materialien im Verbund handelt, die nicht recycelt werden können. Dabei muss man natürlich im Blick haben, welchen Einfluss das Unternehmen überhaupt auf das Produktlebensende hat. Solange das Unternehmen die Stühle nicht zurücknimmt, erhält es ja noch nicht einmal Kenntnis davon, dass das Lebensende erreicht ist. Hier könnte man zum Beispiel ansetzen und mit dem Unternehmen Lösungen entwickeln, zum Beispiel ein neues Geschäftsmodell, bei dem die Stühle zurückgenommen und kaputte Kunststoffteile repariert werden. In diesem Kontext ist natürlich auch ein reparaturfreundliches Produktdesign wichtig. Solche Lösungsideen können grundsätzlich „Quick-Wins“ sein, also vergleichsweise schnell umsetzbar sein. Aber am Ende des TechChecks können auch komplexere Ideen stehen, für die es weitere Forschung und technische Innovationen braucht. Daran sind wir an der HSBI ebenfalls interessiert und stehen als Partner zur Verfügung.

Welche Unternehmen können den TechCheck machen?

Katharina Schnatmann: Den können wir grundsätzlich mit jedem produzierenden Unternehmen durchführen, da er für alle Produktgruppen nutzbar ist. Was wir nicht analysieren können, sind reine Dienstleistungen. Voraussetzung ist also ein Produkt, das hergestellt oder verkauft wird. Aus unserer Sicht ist der TechCheck in erster Linie für solche Unternehmen interessant, die sich noch nicht mit zirkulärer Wertschöpfung beschäftigt haben oder solche, die schon Maßnahmen ergriffen haben und diese reflektieren möchten. Außerdem ist er ein idealer Einstieg für Unternehmen, die Anknüpfungspunkte zur Hochschule suchen.

Wenn ein Unternehmen gerne in das Thema Circular Economy einsteigen möchte – wie kann es vorgehen? Wo fängt man am besten an?

Katharina Schnatmann im Labor
Austausch zwischen den Disziplinen: Im Labor für Kunststoffanalytik konnte sie ihren Kollegen aus der InCamS@BI-Gruppe Kunststofftechnik und Werkstoffprüfung über die Schulter schauen.

Katharina Schnatmann: Der erste Schritt ist die kritische Auseinandersetzung mit seinem eigenen Produkt. Das kann mithilfe des TechChecks sein, muss es aber nicht. Nicht jedes Unternehmen möchte direkt an die großen Themen herantreten. Es ist absolut nachvollziehbar, wenn man erstmal mit „Quick-Wins“ kleine Stellschrauben anpasst. In unseren Gesprächen wurde klar: Wer etwas ändern will, muss das ganze Unternehmen hinter sich haben. Bevor weitergehende Maßnahmen ergriffen werden, braucht es ein gemeinsames Ziel und eine Strategie, wie dieses erreicht werden soll. Was außerdem wichtig ist: Es braucht Wissen über die aktuelle Gesetzgebung. Niemand sollte hier blind starten, sondern sich zunächst informieren, sauber analysieren und bewerten. Auch hier ein Beispiel: Die Gesetzgebung sieht in Frankreich jetzt schon vor, dass Produkte vom Hersteller aus reparierbar gestaltet werden müssen. Wenn z.B. ein regionaler Leuchtenhersteller mit europäischem Absatzmarkt seine Produkte reparierbar gestalten möchte, hilft es beispielsweise wenig, nur den LED-Streifen reparierbar zu konstruieren. Dieser geht nämlich während der Nutzung meistens nicht kaputt. Viel wichtiger sind die anderen Elektronikkomponenten, die fehleranfällig sind.

Hat jedes Unternehmen das Potenzial, zirkulär zu wirtschaften?

Katharina Schnatmann: Auf jeden Fall! Aber jedes Unternehmen muss sich gut überlegen, welcher Ansatz der richtige ist. Nicht jede Maßnahme eignet sich für jedes Produkt. Hier müssen wir insbesondere zwischen kurzlebigen und langlebigen Produkten sowie der Art des Impacts in der Nutzungsphase unterscheiden – für kurzlebige Produkte ist die R-Strategie Reparierbarkeit beispielsweise nicht relevant.

Gut zu wissen: R-Strategien
Die sogenannten R-Strategien sind Maßnahmen, die Unternehmen dabei helfen können, ihre Produkte und somit ihre Wertschöpfungskette zirkulär und damit nachhaltig zu gestalten. Sie dienen als Bindeglied zwischen der Theorie und der Umsetzung von Circular Economy. Sie lauten Refuse (Verzicht), Rethink (Überdenken), Reduce (Reduktion), Replace (Ersatz), Reuse (Wiederverwendung), Repair (Reparatur), Refurbish (Instandsetzung), Remanufacture (Aufarbeitung), Repurpose (Umnutzung), Recycle (Recycling) und Recover (energetische Verwertung).
Literaturtipp: Kirchherr, Julian; Reike, Denise; Hekkert, Marko (2017): Conceptualizing the circular economy: An analysis of 114 definitions. In: Resources, Conservation and Recycling 127, S. 221–232. https://doi.org/10.1016/j.resconrec.2017.09.005

Du hast den TechCheck gemeinsam mit deinen Kolleg:innen erarbeitet. Wie seid ihr dabei vorgegangen?

Katharina Schnatmann: Als Grundlage haben wir den Circo-Track der TU Delft genommen. Meine Kollegin Heike Wulf hat damit in ihrem vorherigen Job viel Erfahrung sammeln können. Der Track ist sehr komplex und gerade für kleinere Unternehmen sehr zeitaufwendig. Unsere Idee war es, eine einfachere und praxistauglichere Methode zu entwickeln. Wir haben die Grundidee des Circo-Tracks übernommen und schauen uns ebenfalls die Wertschöpfung an. Um die Praxistauglichkeit zu erhöhen, verknüpfen wir den Blick auf die Wertschöpfung mit den R-Strategien. Darüber haben wir einfache, gängige Methoden eingebaut wie Ishikawa (Ursache-Wirkungs-Diagramm) oder die vier Quadranten-Einstufung. All das haben wir aufbereitet und Infoboxen mit Wissensinput erstellt. Mit unserem Prototyp sind wir an einzelne Unternehmen herangetreten und haben ihn auf Basis ihrer Praxis weiterentwickelt.

Wie läuft der TechCheck jetzt konkret in der Praxis ab?

Katharina Schnatmann: Wer sich für den TechCheck interessiert, kann sich gerne direkt an unsere Forschungsgruppe Zirkuläre Wertschöpfung wenden oder erreicht uns über das InCamS@BI-Kontaktformular. Dann loten wir in einem ersten Telefon- oder Zoomtermin die Bedarfe aus und vereinbaren zwei konkrete Termine, am besten vor Ort. Der TechCheck dauert zwei halbe Tage. Dazwischen hat das Unternehmen Zeit, um gegebenenfalls Informationen einzuholen oder sich intern abzustimmen. Wir dokumentieren die beiden Termine und besprechen am Ende unser Ergebnis – also die gemeinsam entwickelten Lösungsansätze. Was danach passiert, liegt beim Unternehmen. Wir freuen uns natürlich, wenn daraus ein Forschungsprojekt, eine Studierendenarbeit oder eine weitere Kooperation entsteht.

Im Vordergrund Katharina Schnatmann und Schaubild zirkuläre Wertschöpfung im Hintergrund

Das Innovation Lab von InCamS@BI ist sozusagen die Phase zwei nach dem Creative Lab. Im Creative Lab finden Transferveranstaltungen und erste Ideenentwicklung statt. Anschließend werden diese Ideen im Innovation Lab weiterbearbeitet. Welche Aufgaben hast du als Technologiescout?

Katharina Schnatmann: Bei den Veranstaltungen wie Barcamps, Makeathons und Expert Panels unterstützte ich inhaltlich, gebe zum Beispiel Impulsvorträge dazu, was Circular Economy bedeutet und wie die R-Strategien funktionieren. Außerdem entwickle ich Ideen mit und mache Laborversuche, wie zum Beispiel das Reverse Engineering. Wir haben mit einem Leuchten-Hersteller zusammengearbeitet, um seine Produkte in Hinblick auf die Reparierbarkeit zu optimieren. Dabei verbringe ich teilweise Stunden im Labor, nehme das Produkt auseinander und analysiere den Aufbau und die Komponenten zusammen mit meinen Kolleg:innen.  Zusätzlich gehört es zur Aufgabe des Innovation Labs von InCamS@BI sogenannte Toolboxen für Unternehmen zu entwickeln – hier arbeite ich an der Circular Economy Toolbox.

Du beschäftigst dich schon seit deinem Bachelorstudium damit, wie Photovoltaikmodule zirkulär gestaltet werden können. Was findest du persönlich so spannend an Photovoltaik und zirkulärer Wertschöpfung?

Katharina Schnatmann: Photovoltaikanalgen finde ich sehr spannend! Ich meine: Wir sprechen hier von regenerativ erzeugter Energie, wir nutzen das Sonnenlicht und zahlreiche physikalische und chemische Prozesse, um eine für unsere Gesellschaft unabdingbare Ressource herzustellen: Energie. Von der Idee her ist Photovoltaik natürlich nachhaltig, aber dabei wurde nicht die gesamte Wertschöpfungskette durchdacht. Zurzeit ist es so, dass viele PV-Module am Ende ihrer Nutzung geschreddert werden, z.B. wenn die Förderung für die Anlagen ausläuft. Durch einen nicht optimalen Recyclingprozess verlieren wir wertvolle Ressourcen. Die ersten PV-Anlagen wurden so gestaltet, dass die Energie direkt ins Netz eingespeist wird. Das lohnt sich jetzt für viele nicht mehr, weil es nur noch eine geringe Einspeisevergütung gibt. PV-Anlagen kann man aber optimieren und steuern, sodass der Eigenverbrauch im Vordergrund steht. Ein weiterer Ansatz aus der Circular Economy ist es, Modulen ein zweites Leben zu schenken – das ist der Ansatz Reuse. Um langfristig nachhaltige Strukturen zu schaffen, arbeite ich außerdem verstärkt daran, zirkuläre Designansätze für Photovoltaikmodule zu entwickeln. Ich finde es enorm wichtig, Lösungen für dieses komplexe Problem zu finden.

Wie lebst du Nachhaltigkeit?

Katharina Schnatmann: Ich befasse mich jeden Tag mit Nachhaltigkeit. Sowohl im Projekt InCamS@BI als auch in meiner Tätigkeit im ITES, dem Institut für Technische Energie-Systeme, dem unsere Forschungsgruppe angehört. Durch mein Studium habe ich ein großes Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Alltag gewonnen. Ich selbst mache kleine Schritte würde ich sagen: Ich fahre viel Fahrrad, nutze die Öffentlichen Verkehrsmittel, achte sehr auf Verpackungen zum Beispiel von Lebensmitteln. Darüber spreche ich auch mit meinem privaten Umfeld und sensibilisiere. Insbesondere wenn ich langlebige Produkte kaufe, nehme ich mir mehr Zeit, um Informationen einzuholen und entscheide mich bewusster, z.B. was Elektronikartikel oder Kleidung angeht. Ich möchte meine Entscheidungen möglichst nachhaltig treffen.

Vielen Dank für das Interview! (gs)

Zur Person: Katharina Schnatmann

Katharina Schnatmann ist ein „HSBI-Gewächs“: An der Hochschule Bielefeld hat die heute 25-Jährige sowohl ihren Bachelor in Regenerativen Energien als auch ihren Master in Elektrotechnik mit der Vertiefung Effiziente Energiesysteme absolviert. Sie beschäftigt sich in ihrer Abeit im Team von Prof. Dr. Eva Schwenzfeier-Hellkamp mit Zirkularität von PV-Modulen. Schnatmann lebt in Hövelhof und ist in ihrer Freizeit gerne sportlich aktiv.

 

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