Industrie 4.0 - Digitalisierung und künstliche Intelligenz muss als notwendiger Transformationsprozess begriffen werden
Workshop mit der Eisendraht- und Stahldraht-Vereinigung an der HSBI
Wer die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Produktion nicht ausschöpft, verliert den Anschluss an den Wettbewerb. Diese Einschätzung teilen die Expert:innen und Teilnehmer:innen der Auftaktveranstaltung zur Digitalisierung in der Drahtproduktion der Eisendraht- und Stahldraht-Vereinigung (ESV), die Anfang September 2024 in den Laboren der Hochschule Bielefeld stattfand. Der ESV ist der Fachverband der Hersteller von Drähten aus unlegierten Kohlenstoffstählen sowie von Draht-Fertigprodukten.
Die Veranstaltung, die von Mario Bertling, Vorsitzender des ESV, eröffnet wurde, bot den rund 30 Gästen der HSBI direkte Einblicke in die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Produktion. Professor Dr. Jürgen Sauser, Lehrender des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik, klärte über Visionen im Bereich der künstlichen Intelligenz und deren heutigen Grenzen und Herausforderungen auf. Sein Vortrag ging insbesondere auf Anwendungsmöglichkeiten von KI ein, die von ihm und Mitarbeitern der Hochschule Bielefeld erforscht werden: Von Sprachmodellen, die helfen, administrative Arbeiten zu vereinfachen, über Bildverarbeitungssysteme, die die Qualitätssicherung verbessern, bis hin zu Machine-Learning-Systemen, die die Produktivität in der Produktion erhöhen.
„Die Digitalisierung ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine kulturelle. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter in den Transformationsprozess einbeziehen,“ betonte Prof. Sauser. Er machte deutlich, dass die Einführung digitaler Technologien ein integrativer Prozess ist, bei dem sowohl technologische als auch menschliche Aspekte berücksichtigt werden müssen. Durch die gezielte Nutzung von KI könnten Unternehmen nicht nur ihre Effizienz steigern, sondern auch der drohenden Deindustrialisierung entgegenwirken. Das Know-how der erfahrenen Mitarbeiter:innen, die aufgrund von Verrentung in den nächsten Jahren viele Unternehmen verlassen, könne auch durch die Integrierung von KI in vielen Prozessen gesichert werden.
Peter Beckmerhagen, Geschäftsführer der Frohn GmbH aus Altena, berichtete über die Erfolge, die seine Firma durch die Zusammenarbeit mit der Hochschule Bielefeld und der Einführung digitaler Systeme erzielt hat: Der Weltmarktführer im Bereich Draht- und Strahlmittelherstellung verzeichnet eine Produktivitätssteigerung von 30%. Durch die Aufwertung der Arbeitsplätze stieg nicht zuletzt auch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter:innen.
Forschungsanlage Fördertechnik, Produktion und Logistik (FPL)
Im Anschluss an die Vorträge führte Professor Sauser, Leiter des Fachgebiets Fördertechnik, Produktion und Logistik (FPL), die Teilnehmer:innen durch sein Labor in der HSBI, in dem er und sein Team (Oliver Klose, wissenschaftlicher Mitarbeiter, und Maximilian Nickel und Christina Wittbrock, studentische Hilfskräfte) daran arbeiten, mit KI und Machine-Learning-Algorithmen Produktionsschritte zu optimieren. Im FPL ist 2015 ein landesweit einmaliges Forschungszentrum entstanden, in dem die Simulation und Umsetzung von Produktionsprozessen auf eindrucksvolle Weise dargestellt werden kann. Die Anlage umfasst Montageeinheiten, 1,2 km lange Hängeförderer (1,2km), einen Leit- und Messstand, und ist mit Sensoren, Bildanalyse und Augmented Reality Technologie ausgestattet. Zusätzlich fungiert sie als Smart Research Teaching Factory (SmaRTF) für Produktionssimulationen. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das Forschungsteam mit ganzheitlichen Produktionssystemen im Rahmen neuester informationstechnischer Anbindung, die nutzerorientiert konzipiert und gestaltet werden sollen. So ergänzen sich langjährige Forschungskompetenz im Rahmen der Schnittstelle Mensch & Technik und innovative Ideen aus dem Bereich Industrie 4.0.
Cyber-physische Systeme (CPS) in Produktionsanlagen Die Vernetzung von Maschinen, um datengestützte Einblicke in den gesamten Produktionsprozess zu gewinnen, stand im Mittelpunkt bei der Besichtigung der Laboranlage. „Denken sie immer daran; alle wichtigen Daten sind schon in der Produktionshalle vorhanden, wir müssen aber wissen, wie wir sie einsammeln und nutzen können“, klärt Prof. Sauser auf. Möglich machen dies sogenannte Cyber-physische Systeme (CPS). Diese verknüpfen physische Maschinen und digitale Technologien mithilfe von Sensoren und Steuerungen. Diese Daten werden an digitale Steuerungen weitergeleitet, die sofortige Anpassungen vornehmen können, um die Effizienz und Qualität zu optimieren. Wenn beispielsweise ein Roboterarm Anzeichen von Verschleiß zeigt, kann das System automatisch eine Wartungsanforderung auslösen oder die Produktion anpassen, um einen Ausfall zu verhindern. Zudem liefern die gesammelten Daten wertvolle Einblicke zur kontinuierlichen Verbesserung der Produktionsabläufe, wodurch Ressourcen effizienter genutzt und Kosten gesenkt werden.
Wie das ganz konkret aussieht demonstrierten Prof. Sauser und sein Team vor Ort. Dazu digitalisieren sie ein Exponat aus der Ausstellung DaVinci@HSBI, eine Schubkurbel, die auf einer 500 Jahren alten Skizze Leonardo Da Vincis basiert. An dem Modell und dem Antriebsmotor werden Sensoren angebracht, die Vibrationen, Umdrehungen und den Stromverbrauch messen. Das Besondere: Via Bluetooth sind die Sensoren vernetzt und durch ein Programm werden die Daten in Echtzeit ausgewertet. Mit einem Kabelbinder am Keilriemen wird ein Fehler simuliert, der von den Sensoren aufgenommen wird. Obwohl die Maschine weiterhin läuft und unauffällig ist, kann in der Auswertung dieser Fehler erkannt werden – und zwar bevor die Maschine ausfällt. Professor Sauser betont, dass so auch alte Produktionsanlagen kostengünstig und im laufenden Betrieb digitalisiert werden können: „Hier wandeln Sensoren einfache mechanische Prozesse in Daten um. Durch die Vernetzung und Auswertung gewinnen wir neue komplexe Informationen hinzu.“ Mit den gesammelten Daten können Muster erkannt werden und so wertvolle Einblicke in nicht sichtbare Produktionsprozesse gewonnen werden.
Der Abend endete mit einer intensiven Diskussion über neue Perspektiven für die Herstellung von Drahtprodukten und den Industriestandort Deutschland. Welche Rolle Bildungseinrichtungen wie die HSBI bei der Gestaltung der Industrie 4.0 spielen macht Bertling deutlich: „Die Hochschule Bielefeld hat sich durch ihre engagierte Unterstützung in Fragen zu digitaler Transformation als zentraler Partner etabliert, schließt Bertling und kündigte weitere Veranstaltungen dieser Art an. (jrf)