Anforderungen an die Milieugestaltung demenzkranker Menschen

Diplomarbeit Christoph Wiltscheck/03.2005 – Studiengang Projektmanagement Bau – HSBI/Fachbereich 6

Glaubt man den Prognosen des Statistischen Bundesamtes, wird sich die Zahl der über 80-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2050 fast verdreifachen. Das Risiko an einer Form von Demenz zu erkranken, ist in dieser Bevölkerungsgruppe der Hochbetagten besonders groß. Ab einem gewissen Krankheitsstadium ist eine ambulante Pflege durch Angehörige oft nicht mehr möglich und die Betroffenen müssen stationär versorgt werden. Für einen Grossteil der Erkrankten wird dann ein “klassisches“  Pflegeheim zu ihrem neuen Zuhause. Häufig stellen diese Einrichtungen aufgrund ihres institutionellen Charakters und ihrer krankenhausähnlichen Grundrissstrukturen weder für alte Menschen und schon gar nicht für Menschen mit einer Demenzerkrankung eine für sie geeignete Umwelt dar. Bedingt durch Wahrnehmungsstörungen ist es den Betroffenen oft nicht mehr möglich, sich in der fremden und ungewohnten Umgebung zu orientieren. Langfristig führt diese anstaltstypische Gestaltung zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes.

Genau diese Problematik einer demenzgerechten Milieugestaltung ist Inhalt der Diplomarbeit. Unter dem Begriff Milieugestaltung ist eine ganzheitliche Betrachtung der Lebensumstände zu verstehen. Es werden nicht ausschließlich bauliche-, sondern auch organisatorische und soziale Anforderungen berücksichtigt. Durch Gliederung der Arbeit in einen theoretischen und einen praktischen Teil, entstehen zwei differenziert zu betrachtende Bereiche. Der gesamte theoretische Teil wird mit dem Titel “Wohnen demenzkranker Menschen“ beschrieben. Verschiedene Planungsansätze, Wohnformen für Demenzkranke, die Vorstellung einzelner Modellprojekte sowie eine ausführliche Darstellung organisatorischer-, sozialer und baulicher Anforderungen, sollen den interessierten Leser für das in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmende Thema “Milieugestaltung für Demenzkranke“ sensibilisieren.

Die gesammelten Anforderungen und Erkenntnisse werden anschließend als Ergebnis des ersten Teils in Form einer “Checkliste zur Beurteilung der Qualität von Demenzeinrichtungen“ zusammengefasst. Die baulichen Bewertungskriterien stehen dabei im Vordergrund der Betrachtung. Diese Checkliste richtet sich - wie auch die gesamte Arbeit - an Architekten, Planer, Investoren, Betreiber von Pflegeheimen, Angehörige von Erkrankten, Pflegepersonal und an all diejenigen, die sich in irgendeiner Art und Weise mit dem Thema Demenz auseinandersetzen. Durch ihren einfachen Aufbau bietet die Liste auch Laien ein geeignetes Instrument zur groben Bewertung von Demenzeinrichtungen.

Im zweiten, praktischen Teil der Arbeit werden dann mit Hilfe von verschiedenen Erhebungsinstrumenten, u. a. der Checkliste, so genannte Indikative Gebäudeevaluierungen an drei ausgewählten Einrichtungen des Ev. Johanneswerks e.V. durchgeführt. Neben der Bewertung werden auch Optimierungsansätze für einzelne Gebäudebereiche erstellt. Außerdem wird die vorher entwickelte “Checkliste“ hinsichtlich ihrer praktischen Eignung und Anwendbarkeit überprüft.

Die Diplomarbeit hat gezeigt, dass die Entwicklung einer demenzgerechten Milieugestaltung auch in Zukunft eine Herausforderung an Architekten, Planer, Betreiber und das Pflegepersonal darstellen wird.

Bei der Erörterung der baulichen Normen und Verordnungen zeigte sich, dass die zurzeit gültige Heimmindestbauverordnung und die DIN 18025 bei weitem nicht ausreichend detailliert sind, um als geeignete Instrumente zur Sicherstellung der baulichen Qualität von Demenzeinrichtungen zu dienen. Da der Einfluss der Umgebungsgestaltung auf das Verhalten demenzkranker Menschen durch zahlreiche Studien als bewiesen gilt, lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der Betrachtung und Formulierung zusätzlicher baulicher Anforderungen, um die Unzulänglichkeit der vorhandenen Normen und Verordnungen zu kompensieren. Bei der Erstellung von neuen Normen und Verordnungen wäre es wünschenswert, auch diese besonderen Anforderungen zu berücksichtigen.

Bei den im praktischen Teil der Arbeit durchgeführten Indikativen Gebäudeevaluierungen diente die Checkliste neben dem Interviewleitfaden und der fotographischen Dokumentation als ein wichtiges Erhebungsinstrument. Zwei der untersuchten Einrichtungen - das Dorothee-Sölle-Haus und das Jochen-Klepper-Haus - erwiesen sich als “gut geeignet“ für die Betreuung und Pflege von demenzkranken Menschen. Die Bewertung “noch geeignet“ für das Melanchthon-Haus ist hauptsächlich auf die veralteten  Grundrissstrukturen und die nicht demenzgerecht gestalteten Außenanlagen zurückzuführen. Dennoch konnte das Haus durch das nach den Vorschlägen des KDA umgesetzten Farbkonzeptes überzeugen.

Bei den durchgeführten Indikativen Gebäudeevaluierungen spielte die formulierte Checkliste eine hervorgehobene Rolle. Dabei erwies sie sich als geeignetes Bewertungsinstrument. Im Laufe von weiteren Bewertungen unterliegt die Checkliste einem kontinuierlichen Anpassungsprozess, zumal aktuelle Forschungsergebnisse berücksichtigt werden müssen. Die vorliegende Version bietet eine gute Basis, auf der weiter aufgebaut werden kann.

Es wäre wünschenswert, wenn bei zukünftigen Bauvorhaben, die besonderen Anforderungen und Bedürfnisse von demenzkranken Menschen stärker berücksichtigt werden. Investoren kommt die Checkliste bei der ganzheitlichen Betrachtung des Gebäudelebenszyklus eine besondere Bedeutung zu: Über ihre Verwendung in der Phase der Gebäudebewertung hinaus (Evaluationskriterien) bildet sie in der Phase der Bedarfsplanung die Basis des Katalogs der spezifischen Nutzeranforderungen (Entwurfskriterien), so dass bei der anschließenden Umsetzung dieses Anforderungsprofils eine demenzgerechte Umgebung gestaltet wird, die sich in der Praxis später als “sehr gut geeignet“ erweisen wird.

Kontakt: christoph_wiltscheck@freenet.de