Am vergangenen Donnerstag und Freitag fand zum 33. Mal das Bielefelder Fotosymposium statt. Thema des diesjährigen Fotosymposiums, das in Zusammenhang mit dem am Fachbereich Gestaltung seit 2011 bestehenden Forschungsprojekt "Strukturbilder. Zur grafischen Methode in Kunst, Design und Wissenschaft" entwickelt worden ist, waren Strukturbilder in der Fotografie und in den grafischen Künsten. Die Ausdehnung des Symposiums auf die grafischen Künste stellte ebenso wie das gewählte Format eines Theorie-Workshop ein Novum dar. Beides erwies sich als äußerst gewinnbringend, um den verschiedenen Definitionen und Erscheinungsformen von Strukturbildern auf die Spur zu kommen.
Nach einer Einführung in das Thema durch Kirsten Wagner (Bielefeld) griff der erste Beitrag von Johannes Grave (Bielefeld) das Verhältnis von Struktur und Dynamik auf. Der Kunsthistoriker wies dabei nicht nur auf die zum Teil vorbelasteten Traditionen des Strukturbegriffs in der Kunstgeschichte hin, sondern auch auf dessen verkürzten Gebrauch im Sinne einer statischen und simultanen Bildordnung. Demgegenüber betonte er die Prozessualität und Temporalität von Bildstrukturen. Anhand historischer Bildbeispiele aus dem Bereich der Druckgrafik des 17. Jahrhunderts und der Daguerreotypie verdeutlichte der Kunsthistoriker Robert Felfe, Berlin, dass im Hinblick auf eine sich selbst schreibende, bildgebende Natur die Geschichte der Fotografie weit vor dem 19. Jahrhundert einsetzt. Das in der Druckgrafik sich entfaltende Linienspiel wurde hierbei im Sinne generativer Strukturen verstanden.
In den Arbeiten der Dortmunder Fotokünstlerin Susanne Brügger gehen Fotografie, kartografische und statistische Strukturbilder eine intermediale Verbindung ein. Mit der prä-sentierten Werkgruppe Das Kartenwerk formulierte Brügger in ihrem Vortrag zugleich eine Kritik an den Wahrheits- und Machtansprüchen, die mit dem Dokumentarischen in der Fotografie und den Vermessungs- und Aufzeichnungspraktiken in der Kartografie gegeben sind.
Bild und Begriff der Struktur wurden in den Beiträgen von Sebastian Gießmann (Siegen) und Stephan Günzel (Berlin) auf Diagramme und damit auf die Grafik bezogen. An Flussdiagrammen und Organigrammen aus Wirtschaft und Industrie verfolgte der Kulturwissenschaftler Gießmann die jüngere Geschichte der grafischen Planungs- und Steuerungsinstrumente, die in den 1970er Jahren einen Höhepunkt erlebte. Der Beitrag von Stephan Günzel setzte mit dem französischen Strukturalismus ein, über den der Begriff der Struktur im 20. Jahrhundert weite Verbreitung fand. Aufschlussreich erwies sich, dass Claude Lévi-Strauss, wenn es um die Abbildung sozialer Beziehungen ging, auf vorhandene Schaubilder zurückgriff, diese dann anhand eigener Diagramme auf duale Strukturen herunterbrach. Welche Komplexitätsreduktion damit verbunden ist, demonstrierte Günzel anhand eigenen Kartenmaterials, mit dem er einen von Lévi-Strauss auf Verwandtschaftsstrukturen untersuchten Mythos nachgezeichnet hatte.
An den konzeptionellen fotografischen Arbeiten von Ugo Mulas und Timm Rautert zeigte Steffen Siegel (Jena), inwieweit der Strukturbegriff in der Fotografie auf Bildserien und -ordnungen auszudehnen ist, die die Fotografie selbst zum Gegenstand haben, sie als Bildmedium analysieren. Dieser Aspekt wurde durch den Beitrag von Gottfried Jäger (Bielefeld) aufgegriffen. Jäger, der den Begriff des Strukturbildes von Schmoll genannt Eisenwerth übernommen und in der Fototheorie auf zeichentheoretischer und informationsästhetischer Grundlage ausgearbeitet hat, stellte ihn in einen Zusammenhang mit der Entwicklung der generativen Fotografie. Dabei betonte er, dass sich mit dem Begriff der Struktur in Bezug auf die Fotografie in den 1960er und 1970er Jahren eine neue Forschungsidee verband: die Fotografie jenseits ihrer Abbildfunktion in der eigenen Materialität und Medialität zu untersuchen.
Am Beispiel der Bauhausfotografie widmete sich Cora Waschke (Hamburg/Bielefeld), Doktorandin am Fachbereich Gestaltung, ins Bild gesetzten Strukturen von Glasfassaden. Anschaulich zeigte sie, wie an den Fassadenstrukturen die für die moderne Architektur elementaren Fragen von Durchsichtigkeit, Offenheit und Licht verhandelt wurden. Darüber hinaus wurde deutlich, dass sich die Fotografie über die Architektur selbst als Medium reflektierte, indem die aufgenommenen Fassadenstrukturen mit ihren Rahmungen und Spiegelungen auf das fotografische Bild verwiesen. Mit Roland Fischer beschloss ein Fotograf das Symposium. Insbesondere die von ihm weltweit fotografierten Fassaden postmoderner Architekturen mit ihren geometrischen, aber auch organischen Strukturen, die sich im gewählten Ausschnitt abstrakten Tafelbildern annäherten, verlängerten das Thema bis in die Gegenwart hinein.
Zu ersten Ergebnissen des Symposiums kann eine genauere Unterscheidung zwischen Strukturen repräsentierenden Bildern und generativen Strukturbildern gezählt werden. Ferner wurde die Bedeutung des Strukturbegriffs für mediale Selbstexplorationen herausgearbeitet. Der Begriff der Struktur wurde sowohl in Bezug auf die Kunstgeschichte als auch hinsichtlich des Strukturalismus und des Poststrukturalismus problematisiert. Als Frage blieb, wie Strukturbilder jenseits eines auf die Sprache enggeführten oder essentialistisch gedachten Strukturbegriffs gedacht und analysiert werden können. In dem neuen Forschungsprojekt "Erkenntnis-formen der Fotografie" des Bielefelder Forschungsschwerpunktes "Fotografie und Medien" soll die begonnene Diskussion um Strukturbilder fortgesetzt werden.
Text: Prof. Dr. Kirsten Wagner