#glitch: Von Fehlern, Idealen und Kontroversen in einer digitalisierten Welt
Digitale Werkschau 2020 präsentiert am Fachbereich Gestaltung 64 interdisziplinäre und intermediale Abschlussarbeiten.
Bielefeld (fhb). Kontroversieller, interdispziplinärer und wegen der Corona-Krise aufwändiger in der digitalen Dokumentation – das sind 2020 die Gemeinsamkeiten der 64 Abschlussarbeiten des Fachbereichs Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld, die am vergangenen Donnerstag der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Statt der schon traditionellen Ausstellung im Gebäude in der Lampingstraße präsentierten Studierende und Lehrende die Arbeiten, davon 13 Master- und 51 Bachelorabschlüsse, aus den Studienrichtungen „Mode“, „Kommunikationsdesign“ sowie „Fotografie und Bildmedien“ digital auf der Website werkschau20.gestaltung-bielefeld.de. Hier können Interessierte sie ab sofort ebenfalls erkunden.
„Nach einem ereignisreichen Sommersemester mit vielen ruckartigen und weitreichenden Veränderungen in unserer Lehrweise und Zusammenarbeit sind wir glücklich, in dieser digitalen Werkschau das breite Spektrum der Arbeiten der Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs Gestaltung der FH Bielefeld präsentieren zu können“, sagt Dekan Prof. Dr. Roman Bezjak. „Die Absolventinnen und Absolventen haben ein Ziel formuliert, reflektiert, konzipiert, gestaltet, improvisiert und oftmals neue und unbekannte Wege gefunden, ihre Projekte erfolgreich umzusetzen.“ So wurden Fittings für die Modekollektionen auf Parkdecks unter freien Himmel verlegt. Installationen, die eigentlich eine persönliche Auseinandersetzung am Ausstellungsort erfordert hätten, wurden in Videos dokumentiert.
Das Thema der digitalen Werkschau 2020 ist #glitch, der – auf den ersten Blick – handwerkliche Fehler in einer digitalisierten Welt. Der Ansatz findet sich nicht nur in vielen Arbeiten, sondern auch auf der Website: Bilder und Texte erscheinen zunächst verzerrt und verschlüsselt, um dann nach längerer Betrachtung klar zu werden.
Bei der Auseinandersetzung mit den Arbeiten wird deutlich, wie interdisziplinär und intermedial die Absolventinnen und Absolventen in den vergangenen Monaten gearbeitet haben. Etwas, das durch den engen Kontakt der verschiedenen Disziplinen am Fachbereich ermöglicht und auch durch die Einflüsse der neuen Studienrichtung „Digital Media and Experiment“ noch einmal mehr gefördert wird.
Die Bachelorarbeit von Dennis Kaan Kanbur mit dem Titel „Dream“ besteht beispielweise aus mehreren kleinen Projekten und dreht sich um Traumwelten und deren Narrationen. „Ich habe mir angesehen, wie von der Vergangenheit bis in die Gegenwart der Traum künstlerisch dargestellt wurde“, erklärt Kanbur. Hierfür entwarf er unter anderem eine 3D-Installation, baute ein riesiges Bett am Fachbereich Gestaltung auf und thematisiert in einem Video verschiedene Traumorte. Seine Eindrücke hielt er zusätzlich in einem Buch fest.
Masterabsolventin Johanna Baschke hat sich in einem sehr persönlichen und offenen Reflexionsprozess fotografisch mit dem inneren Kampf auseinandergesetzt, einer Geschlechterrolle gerecht zu werden – bzw. der Weigerung dessen. „Ich habe mich unter anderem damit beschäftigt, wieso ich mich eigentlich geschminkt habe oder warum ich als Frau in bestimmten Situationen das Gefühl habe mich zurücknehmen zu müssen“, sagt Baschke. Auch die Formulierung der „starken Frau“ hinterfragt sie: „Den Begriff kann es ja nur geben, wenn die Frau als schwächeres Geschlecht gesehen wird.“ Da sie ihre Installation nicht wie geplant vor Ort aufbauen konnte, baute die Künstlerin sie virtuell nach. Entstanden sind eindringliche, zum Teil verstörende Bilder und Filmsequenzen, untermalt mit prägnant-provokativen, fast lyrischen Texten.
Auch Modeabsolventin Laura Stattkus setzt sich in ihrer Arbeit mit gesellschaftlichen Rollen auseinander und hinterfragt mit ihren plastikartigen und bunten Exponaten das Schönheitsideal, das in Sozialen Netzwerken insbesondere jungen Frauen vermittelt wird. Eine 1,50m große aus orangenem Latex genähte „Datenkrake“ auf einer Schaufensterpuppe symbolisiert den Preis, den wir zahlen, um „dabei“ zu sein. Die Modeindustrie sieht die Designerin kritisch: „Ich wünsche mir von der Branche ein tolerantes und vielfältiges Weltbild, dass auch auf den Laufstegen verkörpert wird. Das fehlt zu häufig noch.“
Die frisch gebackenen Absolventinnen und Absolventen stehen nun vor der Frage, wie es weitergeht. So manche*r Bachelor bleibt erst einmal an der Fachhochschule und startet das Masterstudium. Andere jedoch müssen jetzt beruflich Fuß fassen – keine leichte Aufgabe in Zeiten von Corona. „Krisen und Phasen der raschen Veränderung wie wir sie zurzeit erleben, geben immer auch Raum für Neues“, sagt Prodekan Prof. Dirk Fütterer.. „So werden digitale Formate immer wichtiger und mit virtuellen Räumen, die entstehen, gibt es auch neue Gestaltungsmöglichkeiten.“ Eine Zukunft, auf welche die Absolventinnen und Absolventen vorbereitet sind, wie die Werkschau 2020 unterstreicht. (she)