FH-Studierende überprüfen gängiges Rechenmodell in neu konzipiertem Praktikum
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Gut ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure dürfen sich nicht blind auf Modellrechnungen verlassen. Sie müssen in der Lage sein, eigene Messungen durchzuführen, Fehler zu erkennen und Schwachstellen zu beheben. Diese kritische Arbeitsmethode erlernen Maschinenbaustudierende der FH Bielefeld in einem neu entwickelten Praktikum am Campus Minden. Dabei kommen teils auch Bauteile aus den Unternehmen zum Einsatz, in denen die Studierenden arbeiten. So profitieren Studierende und Unternehmen gleichermaßen.
Minden (fhb). Die Studierenden drängen sich um die verkabelte Vorrichtung auf dem Labortisch. Ein letztes Mal wird mit dem Lineal nachgemessen, dann geht es los: Ein Knopfdruck, und das in die Vorrichtung eingespannte Modell wird durch eine große Kraft auseinandergezogen. Gebannt beobachten die Studierenden, wie das Kunststoff-Modell unter der Belastung in allen Farben des Regenbogens aufleuchtet. Welcher Spannung kann es standhalten?
Die Antwort erhalten Studierende in dem neu entwickelten Praktikum „Finite Elemente Methoden“ (FEM) am Campus Minden der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Im praxisintegrierten Bachelorstudiengang Maschinenbau lernen die Studierenden die Berechnung von Maschinenelementen bereits in frühen Semestern kennen. Doch im FEM-Praktikum im fünften Semester werden die Bauteilbeanspruchungen nicht nur im Rechner simuliert, sondern durch eigene Messungen verifiziert.
Theoretisches Wissen praktisch angewandt: Vom virtuellen Modell zum realen Bauteil
„In dem Praktikum können die Studierenden mit eigenen Augen sehen, was sie zuvor nur am Rechner modelliert oder mit physikalischen Methoden simuliert haben“, sagt Prof. Dr. Andreas Tenzler. Er möchte seinen Studierenden so den Bezug vom virtuellen Rechnermodell zum realen Bauteil aufzeigen.
Dazu wird das Rechenmodell FEM mit spannungsoptischen Messungen im praktischen Versuch überprüft. Die Spannungsoptik ist ein Verfahren, das in Bauteilen solche Stellen sichtbar macht, die unter besonders hoher Beanspruchung stehen. Eine bunte Einfärbung macht die Verteilung der Spannung optisch sichtbar – und damit messbar. Dort, wo die Färbung im Modell besonders häufig wechselt, wirkt die stärkste Spannung auf ein Bauteil ein. Was mit der FEM nur theoretisch berechnet werden konnte, kann also mit der Spannungsoptik verifiziert werden.
Simulationen, die auf Berechnungen und Annahmen beruhen, überprüfen die Studierenden im Praktikum und korrigieren sie gegebenenfalls. „Wenn ich eine Aussage tätige, muss ich sie auch überprüfen können. Das lernen die Studierenden hier“, beschreibt Tenzler das didaktische Prinzip des Praktikums. Da die FEM-Rechnungen auch in Unternehmen Anwendung finden, werden die Studierenden bestens vorbereitet. Sie können beurteilen, ob die Modellrechnungen zuverlässig sind: „Wir von der Hochschule liefern die Expertise, dass die Modelle, die in den Unternehmen eingesetzt werden, die richtigen sind“, sagt Tenzler.
Praxisintegration als zentrales Merkmal des Praktikums
Den Studierenden einen Praxisbezug ermöglichen, das stand bei der Konzeption des neuen Praktikums im Fokus: „Hier im Labor vermessen wir das echte Leben“, berichtet Prof. Tenzler. Die Spannungsoptik sei wie eine Beweisführung der theoretischen Berechnungen. Als Beispiel nennt er die Spannungsberechnung eines Zugstabs, ein Standardbauteil. In Grundlagenvorlesungen wird häufig die Spannung berechnet, die auf einen Zugstab ohne Bohrlöcher einwirkt. Auf diesem verteilt sich die Spannung gleichmäßig - die Spannungsoptik färbt den Stab in einer einheitlichen Farbe. Reale Bauteile sind jedoch häufig mit Kerben versehen. Die Spannungsverteilung bei einem solchen Zugstab mit Kerbe ist ungleich komplexer – die Spannungsoptik zeigt die komplexe Spannungsverteilung in grellen Farben.
Die im Praktikum durchgeführten FEM-Simulationen und spannungsoptischen Messungen werden gemeinsam besprochen: „Wenn wir die Messabweichungen diskutieren, hat das einen hohen Lerneffekt“, erzählt Teilnehmer Marius Schröder. In der Kleingruppe mit nur neun Teilnehmenden ist ein sehr persönlicher Austausch möglich. „Das ist hier schon eine luxuriöse Betreuung“, so eine Studentin.
Studierende nutzen Beispiele aus ihrem Arbeitsumfeld
Das Praktikum gliedert sich mit seiner praktischen Ausrichtung in den praxisintegrierten Studiengang Maschinenbau am Campus Minden ein. Praxisintegriert, das heißt, dass die Studierenden während der gesamten Studiendauer in einem Unternehmen angestellt sind und eine Vergütung erhalten. Dabei wechseln sich elfwöchige Praxisphasen im Unternehmen mit zwölfwöchigen Theoriephasen an der Hochschule ab.
Die Studierenden verknüpfen dementsprechend ihre Arbeit mit dem Studium. So analysiert Lydia Tiessen für die Modulprüfung zum Praktikum ein Bauteil der Firma Krohne Pressure Solutions GmbH aus Minden. Hier ist sie in der Abteilung „Forschung & Entwicklung“ beschäftigt und untersucht die Druckmessgeräte, die die Firma herstellt. Die Geräte müssen präzise messen, wie viel Flüssigkeit beispielsweise durch ein Rohr abläuft. Tiessen freut sich über den Praxisbezug: „So lerne ich mehr über unsere Produkte, und das Ganze ist auch für unsere Abteilung wertvoll.“
Student Marius Schröder hat sich für die Prüfung Großes vorgenommen: Er vermisst die Auffangvorrichtung eines Rolltors. Rolltore gehören zu Schröders Alltag, der beim Türen- und Torehersteller Teckentrup in Verl beschäftigt ist. „Wenn da mal die Kette versagt, gibt es eine Art Notbremse, damit das Tor nicht einfach runterstürzt. Die Teile müssen im Notfall also besonders viel aushalten.“ Sein Prüfungsthema erfordert vielschichtige Berechnungen. Doch die Aussicht, einen realen Gegenstand vermessen zu können, motiviert den Studenten.
Verfahren zeigt auf, wo Material eingespart werden kann
Neben der Möglichkeit, Theorie und Praxis miteinander zu verzahnen, bietet das Praktikum einen weiteren Erkenntnisgewinn: Durch spannungsoptische Messungen kann ermittelt werden, ob die Menge an benutztem Material tatsächlich nötig ist. An Stellen, wo wenig Spannungen in einem Gegenstand auftreten, muss er weniger dick sein – hier kann Material eingespart und Ressourcen geschont werden. Dieses an der Hochschule erlernte Wissen nehmen die Studierenden dann mit in ihre Arbeitswelt. „Es ist toll, wenn man dem Unternehmen schon als Studentin wirklich etwas bringt“, sagt Lydia Tiessen. Eben ganz praxisintegriert. (cwi/vku)